Small
SMALL – an exploration of miniature
Ausstellungsarchitektur JAY GARD
kuratiert von Juliet Kothe & Annika Taube
Die Miniatur ist ein Ding der Perspektive. Wenn man das Kleine betrachtet, geht es nicht nur um Zentimeter, sondern um Verhältnisse, Verweise und eine besondere Art des Sehens.
Miniaturen können Stellvertreter sein. Schon seit dem Mittelalter trug man seine Liebsten als gemalte Miniportraits oder Amuletts möglichst nah am Körper – und gab sich damit im Fall der Madame de Pompadour auch ganz nebenbei als Mätresse des Königs zu erkennen. Miniaturen können auch Modelle sein, etwas Fernes näher rücken oder Unbegreifliches sichtbar machen.
Das Kleine zwingt zum genauen Hinschauen. Die Miniatur ist Experimentierraum und Projektionsfläche und erzeugt eine sinnliche Spannung zwischen Erkennen und Entfremden. In seiner Poetik des Raums bezeichnete Gaston Bachelard Miniaturen 1957 als „glückliche Räume“ – als Seifenblasen, in denen sich die Welt handlich als Spiegelbild zeigt. Doch auch wenn wir das Kleine oft mit dem Heilen, Beschaulichen verbinden, so ist die Miniatur doch kein rein utopischer Raum. Gerade in der Kunst ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder das Grauen eingesickert. Die Verkleinerung lässt Bilder zu, die im „Großen“ unzeigbar sind.
Mehr als vierzig Künstler zeigen in der Ausstellung SMALL in Form von Verkleinerungen, Verdichtungen oder Verweisen, in unterschiedlichen Medien von der Malerei bis zum Video ihre Perspektive auf die Miniatur. Der Künstler Jay Gard entwirft die Ausstellungsarchitektur.
Roger Eberhard und Michael Sailstorfers ausgestellte Arbeiten stehen exemplarisch für künstlerische Produktionen, dessen Ursprung das Kleine ist. Michael Sailstorfers Arbeit ist das Modell für die Skulptur Und sie bewegt sich doch, Roger Eberhards Polaroid Shanty Town Deluxe ist der Ausgangspunkt für einen großformatigen Print aus der gleichnamigen Serie.
Jorinde Voigts Superdestination 2 (im Wald) geht aus einer konkreten Betrachtung von Umrissen eines Waldes hervor – es ist die Fixierung eines größeren Gegenstands im kleineren Format der Zeichnung.
Przemek Pyszceks skulpturales Gebilde – einem typisch kommunistischen Spielplatzgerüst nachempfunden – funktioniert als abstraktes Formenspiel. Nur als Fragment sich präsentierend, ist es dem Betrachter überlassen, das Bild gedanklich zu einem „großen Ganzen“ zu komplettieren.
Iris Touliatou schließt in kleinen Fläschchen nicht nur Gin & Tonic aus einem gestohlenen Glas einer Athener Bar ein, sondern sie bewahrt sich die Erinnerung an einen viel größeren privaten Moment, ganz im Sinne Gaston Bachelards.
Felix Kiesslings Gedankenpaste – Titel und Produktionsmaterial zugleich, ist eine Masse aus zusammengemischten Notizen, Listen, Konzeptskizzen und Briefen. Die monochrome Pasten-Malerei fixiert Lebensinhalte, Situationen und Gedanken mehrerer Jahre auf einer Leinwand.
Philip Topolovac schmilzt Fundstücke aus der Kriegszeit, Glas und Waffenfragmente zu kleinen Murmeln. Ähnlich wie bei Touliatou und Kiessling verdichtet sich Zeit und Vergangenheit. Schrecken und Zerstörung einer ganzen Ära kondensieren in einem kleinen, harmlosen Spielzeug, ähnlich wie im kleinformatigen Portrait des Künstlers Yassir Ali Eldalatys. In einer 350-teiligen Serie verweist der im Sudan geborene Künstler auf die Bürgerkriegsschrecken seiner Heimat. Jeder Portraitierte ist Stellvertreter für eine viel größere Anzahl an Toten.
(Auszüge aus Texten von Saskia Trebing und Juliet Kothe)